Mittwoch, 28. August 2013

Zeitreisemaschine


Der Regen trommelt penetrant auf meinem Fensterbrett im Takt zu den nervigen Straßenbahnen, die vor einer Stunde den Bus-Nachtverkehr abgelöst haben. Ein Blick auf meinen Wecker verrät mir das Es noch Zeit ist, sich mindestens sieben Mal unterm Kopfkissen zu verstecken, um die bald aufgehende Sonne zu ignorieren. Aus dem Flur dringen Geräusche zu mir vor, die ich für Stimmen in meinem Kopf halte, denn das Du vor meiner Zimmertür stehst und singst, ist unmöglich. Mit verschlafenen Augen und zittrigen Fingern greife ich nach meiner Brille, die mit meiner Kette und unzähligen Ohrringen zusammen einen glitzernden Klumpen ergeben. Als die Tür aufgeht, setze ich mir das Knäuel, in welchem sich meine Brille befindet, auf die Nase und sehe dich skeptisch an.

„Du verpasst ja alles, ich hab sicher eine halbe Ewigkeit nach deinen Gummistiefeln gesucht, aber nun habe ich alles zusammen, können wir los?“ Mächtig verwirrt und noch etwas benommen vom Schlaf, krabble ich nickend aus meinem Bett und steige in die Gummistiefel, die du mir freudig strahlend entgegenstreckst. Und da ist es wieder, das Geräusch aus dem Flur. Du stehst vor mir und singst das Lied, welches du für mich „geschrieben“ hast, immer wieder dieselbe Zeile zu einer immer wechselnden Melodie – You have to be my angel!
Meine Zeitreisemaschine scheint hervorragend zu funktionieren, denn schon wieder hänge ich in Erinnerungen fest. Ereignisse noch einmal zu durchleben, schmerzen erst im Nachhinein, also lasse ich mich darauf ein:

Mit einem breiten Grinsen im Gesicht strecke ich dir beide Hände entgegen, du hilfst mir auf, ziehst mich ganz dicht an dich heran und küsst mich vertraut und zärtlich.
„Los Wusel, bevor wir den Regen ganz verpassen!“
In Schlafanzug und Gummistiefeln gekleidet machen wir uns auf, in den noch dunklen Morgen.
Der letzte Rest Mond spiegelt sich auf den nassen Straßen und wir rennen wie Kinder von Pfütze zu Pfütze. Du nimmst mich huckepack und stiefelst mit mir im Gepäck in Richtung Spielplatz, wo du mich auf die Rutsche setzt und dir die feuchten Haare mit den Händen nach hinten kämmst. Ich sehe dich lange an und streichle dein regennasses Gesicht, ich hatte fast vergessen, wie gut du aussiehst. Und noch bevor ich sentimental werden kann, küsst du mich leidenschaftlich und bestimmend.

Ein plötzlicher Hustenanfall weckt mich abrupt. Ich weiß noch genau, wie wir in dieser Nacht im Regen miteinander geschlafen haben, bevor wir unter die warme Dusche flüchten. Auch wenn ich dich jeden winzigen Augenblick am Tag vermisse, weine ich nun vor Erleichterung aufgewacht zu sein. Dich noch einmal zu spüren ist alles was ich will und auch wieder nicht, denn im Endeffekt wache ich wieder hustend und alleine auf, mit deinem Lied im Kopf!

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